Literatur

Günter Eich:
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus euerem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!

Nicht nur rationales Denken, angepasstes Handeln ist für ein glückliches Leben erforderlich! Diese Bushs dieser Welt mit ihrer verderblichen - in doppeltem Wortsinn - Mischung aus Weltmachtanspruch und "göttlichem" Sendungsbewusstsein hätten das wohl gerne! Ebenso wie diese "Globalisierer", denen nicht einmal mehr ihr vorrangiges Ziel "shareholder value" etwas bedeutet, wenn es dem persönlichen Wohlergehen nützt (Mannesmann, Banken etc. etc.)

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Ich weiß es noch: Einer meiner besten Freunde, Peter Baukus, hat mir "Sabeth" während unserer häufigen Gesprächsabende in der Schulzeit nahe gebracht! Und ich erinnere mich, wie wir Skizzen gemacht haben, um den Flug von Sabeth mit Elisabeth auf den verschiedenen Ebenen von Raum und Zeit zu verdeutlichen!

Vielleicht heisst dieses Buch von Günter Eich auch deshalb "Träume", weil er diese anderen Ebenen menschlicher "Erkenntnis" ins "Bewusstsein" bringen will! Was ist das, unsere rationale Welt, unser Bewusstsein, Verstand, Logik, Sprache, Zahlen, Technik? Transzendenz, das Überschreiten von Erfahrungs- und Wissensgrenzen, das zentrale Thema von "Sabeth": Die Unmöglichkeit des Zugangs aus unserer (nicht meiner ;-)!) Welt der arroganten Vernunft in die Vorstellungen des Traums, des Glaubens, des Universums, der Unendlichkeit und Unsterblichkeit, Bedeutungslosigkeit von Zeit und Raum!

Was sind schon zweitausend Jahre christliches Abendland (in Tagen und Stunden ganz schön viel :O)!) gegen 5 Milliarden Jahre unserer Weltgeschichte, gegen 15 Milliarden Jahre unseres Sonnensystems, unserer Galaxie, von denen es wiederum Milliarden im Universum gibt!!!??? Die uns nächstgelegene Galaxie mit dem schönen Namen Andromeda ist gute 2 Milliarden Lichtjahre entfernt! Und pro Jahr bewegt sich das Licht immerhin mit mahr als 9 Billionen Kilometer! Universum! Die Erde hat 45 Tausend Kilometer Umfang, ein Menschleben knapp 100 Jahre! Eroberung des Weltraums, zum Mond, zum Mars??? Eine Ameise auf dem Weg zum nächsten "Ameisenhaufen" wäre weiter! Sie sind weiter! Vielleicht auch Raben! Wir "wissen" es nur nicht! Sie haben eine andere, wohl bessere Betrachtungsweise dieser Welt! Augenblicke?! Das ist nicht nur das Auf- und Niederklappen eines Lids! Was an Wellen jeglicher Art in einem kurzen Zeitraum in das Auge eindringt, was das Auge erblickt, das wird ja nicht nur in der Verstandesabteilung des Gehirns verarbeitet! So gesehen sagt der Fuchs zum Kleinen Prinzen mit Recht "man sieht nur mit dem Herzen gut"! Hm, sind nur noch Kinder, Träumer, einfache "unverbildete" Menschen wie die Bäuerin Fortner in der Lage, solche anderen Welten wahrzunehmen, gar wie Elisabeth in diesen aufgenommen zu werden, wenn auch nur für einen glücklichen Augenblick!? Wir haben die falschen Vorstellungen von Glück, die falschen Wertvorstellungen für ein glückliches Leben! Gier nach Macht und Ruhm - und Geld, um sich das notfalls zu kaufen! Viele bereichern sich in schamloser Weise auf Kosten anderer! Und wenn diese Gier in verderblicher Mischung (in doppeltem Wortsinn) Weltmachtanspruch und "göttlichem" Sendungsbewusstsein besteht ... oh, ihr Bushs ... aber das ist ein anderes Thema!

Unsere brave Lehrerin ist einer anderen Welt begegnet, konnte sie nicht fassen, hat mit ihrem Direktor Woturba ihr kleines Glück gefunden und alles geht seinen gewohnten Gang. Ach, meine lieben Lehrerinnen :O)!

SABETH

1. Kapitel  DIE ERZÄHLUNG DER LEHRERIN
2. Kapitel  DIE ERZÄHLUNG DER FRAU FORTNER
3. Kapitel  DIE ERZÄHLUNG DES KINDES ELISABETH

4. KapitelDIE SCHLAFLOSE NACHT DER LEHRERIN
5. Kapitel GESPRÄCH MIT SABETH
6. Kapitel EIN FOTOGRAFIERTES GESPRÄCH
7. Kapitel SABETHS TOD
8. Kapitel EIN BEWEIS FÜR SABETHS EXISTENZ
9. Kapitel EPILOG



THERESE WEISINGER
, Lehrerin


EIN KIND ELISABETH FORTNER
, acht oder neun Jahre


FRAU FORTNER
, Bäuerin


BAUER JOSEF FORTNER


KNECHT MAGD


SABETH


SCHULLEITER EGINHARD WOTURBA


REDAKTEUR REINICKE


SEKRETÄRIN MANN (DR. SCHLEFINK)


FRAU (FRAU SCHLEFINK)


 

Erstes Kapitel

DIE ERZÄHLUNG DER LEHRERIN


LEHRERIN:
Ich heiße Therese Weisinger und bin Lehrerin in Reiskirchen. Das eigentliche Dorf Reiskirchen besteht nur aus Kirche, Schulhaus und wenigen Bauerngehöften, doch gehören zahlreiche der umliegenden, weit verstreuten Einzelhöfe dazu, so daß die Klassen recht groß sind. Außer mir unterrichtet an der Schule noch der Schulleiter, Herr Eginhard Woturba. An einem Oktobertag des vorigen Jahres gab ich in der dritten Klasse Naturkunde-Unterricht. Ich hatte den Kleinen von den Zugvögeln erzählen wollen, wozu Beobachtungen, die wir während der vergangenen Wochen im Freien gemacht hatten, der Anlaß waren. Doch lenkten mich große Scharen von Krähen, die man durch das Fenster hindurch auf den Feldern sah, von meinem eigentlichen Thema ab. Das ist keine besonders weite Ablenkung und ich will auch nicht behaupten, daß es mehr als ein Zufall gewesen sei. Immerhin war der Zufall bemerkenswert, denn mit ihm begannen die seltsamen Erlebnisse, die mich nicht nur in den nächsten Wochen beschäftigten, sondern mein ganzes Leben lang beschäftigen werden. Ich bemerkte, wahrend ich über die Klugheit der Rabenvögel sprach, eine ungewöhnliche Unruhe in einer Ecke der Klasse.


LEHRERIN:
Was habt ihr da hinten? Stille. Wolltest du was, Ilse?
KIND
zögernd: Nein -
LEHRERIN:
Aber?
KIND:
Fräulein, die Elisabeth sagt, es gäbe welche, die sprechen können.
LEHRERIN:
Was für welche?
KIND:
Krähen.
LEHRERIN:
Krähen, die sprechen können? Ja, das kann sein. Krähen sind so klug, daß sie in der Gefangenschaft hin und wieder ein paar Worte sprechen lernen. Besonders klug sind die Rahen. Die sind viel größer als die Krähen, aber bei uns gibt es keine. Sagtest du was, Elisabeth? Stille. Warum antwortest du nicht?
ELISABETH:
Nein, ich habe nichts gesagt.
KIND:
Doch! Sie hat gesagt, bei uns gäbe es Raben, die könnten sprechen wie die Menschen.
LEHRERIN:
So ein Unsinn! Nein, das gibt es nicht. Hast du das wirklich gesagt, Elisabeth? Stille. Hast es dir nur ausgedacht, nicht wahr?
ELISABETH:
Nein.
LEHRERIN lachend: Hast du sie etwa gesehen, solche Raben, und sprechen hören?
ELISABETH:
Ja. Unruhe.
LEHRERIN:
Still! Erzähl, wie sie aussehen, Elisabeth!
ELISABETH:
Schwarz und groß.
LEHRERIN:
Wie groß?
ELISABETH:
Ganz groß. So groß wie Sie, Fräulein. Nein, noch ein bißchen größer. Unruhe und Gelächter.
LEHRERIN:
Still! Und wo hast du sie gesehen? Stille.
ELISABETH
: Es ist wahr.
LEHRERIN:
Aber Elisabeth, was hast du? Draußen beginnen Glocken zu läuten. So, ihr andern. Zwölf Uhr. Schluß für heute! In den sich erhebenden Lärm. Elisabeth, du wartest noch einen Augenblick!
ELISABETH:
Ja, Fräulein. Die lärmenden Kinder laufen hinaus. Es wird still.
LEHRERIN:
Warum hast du geweint, Elisabeth?
ELISABETH:
Weil ich es gesagt habe.
LEHRERIN:
Ja, Elisabeth, es ist wirklich nicht schön, wenn du so lügst.
ELISABETH:
Ich lüge nicht.
LEHRERIN:
Was werden dein Vater und deine Mutter Sagen, wenn ich es ihnen erzähle!
ELISABETH:
Erzählen Sie nichts, Fräulein! Sie haben es mir verboten.
LEHRERIN:
Was verboten?
ELISABETH:
Daß ich was von dem Raben sage.
LEHRERIN:
Hast du die Geschichte schon öfter erzählt?
ELISABETH:
Noch nie.
LEHRERIN:
Warum verbieten sie es dann?
ELISABETH:
Ich habe es erzählt und habe Angst, Fräulein.
LEHRERIN:
Also sag: Was ist mit dem Raben?
ELISABETH sehr selbstverständlich: Abends, nach dem Engel des Herrn, kommt er zu uns in die Stube.
LEHRERIN:
Er kommt in die Stube! Aber Elisabeth! Wo kommt er her?
ELISABETH:
Ich weiß nicht. Ich glaube, aus dem Wald.
LEHRERIN:
Und wer macht ihm die Tür auf?
ELISABETH:
Niemand. Er macht sie selbst auf.
LEHRERIN ironisch: Er kommt also in die Stube und dann spricht er, wie?
ELISABETH:
Ja.
LEHRERIN:
Was spricht er?
ELISABETH:
Ich weiß nicht.
LEHRERIN:
Hast du keine Angst vor ihm?
ELISABETH:
Nein, ich habe ihn lieb.
LEHRERIN verwirrt, nachdenklich: So, du hast ihn lieb. Ja, Elisabeth, - ja -
ELISABETH:
Fräulein, die andern sind schon weg. Darf ich jetzt gehen? Sonst muß ich allein -
LEHRERIN:
Ja, natürlich darfst du gehen.
ELISABETH:
Sagen Sie nichts zuhause?
LEHRERIN:
Bestimmt nicht.
ELISABETH:
Dankeschön, Fräulein.
LEHRERIN:
Auf Wiedersehn, Elisabeth.

LEHRERIN: Phantasievolle Kinder sind schwierig, weil Sie zur Lüge neigen. Phantasie ist etwas sehr Schönes, aber gibt man nicht auf sie acht, so führt sie bei einem schwachen Charakter zur Verlogenheit. Ich nahm mir vor, ein Auge auf die kleine Elisabeth Fortner zu haben. Gelegentlich wollte ich auch einmal mit ihren Eltern sprechen. Der Fortnersche Hof liegt am weitesten von Reiskirchen entfernt, ungefähr eine Stunde Wegs und ganz in der Einöde. Das heißt, eigentlich liegt er wieder näher an der Welt als Reiskirchen selbst, denn geht man vom Hof aus etwa zehn Minuten weiter durch den Wald, so trifft man auf die Bundesstraße 299. Das ist freilich nur eine sehr lose Berührung mit der Welt. Vielleicht hört man an Regentagen die Lastautos oder einen Hupenklang von der Straße her bis zum Haus. Es war ungefähr eine Woche später, daß ich meinen täglichen Spaziergang in die Einöde richtete. Der Altweibersommer überzog mit seinem silbernen Gespinst die Felder. Es war ein heiterer Tag und, da ich im Dahinschlendern mein Leben überdachte, voller Schwermut. Wie gut, daß ich heute ein Ziel hatte! Der Hof lag sehe' still unter der schönen Herbstsonne. Kein Hund bellte mich an, keine Taube gurrte vorm Schlag, kein Huhn, das davonlief. Auch das Haus schien verlassen. Ich ging durch den fliesenbelegten kühlen Flur, doch in der Küche traf ich die Bäuerin.

LEHRERIN: Frau Fortner!
BÄUERIN:
Oh, das Fräulein!
LEHRERIN:
Darf ich herein?
BÄUERIN:
Gewiß, gewiß! Hier ist es warm.
LEHRERIN:
Ja, es wird kühl draußen.
BÄUERIN:
Da, setzen Sie sich.
LEHRERIN:
Danke. Ich kam bloß vorbei und habe hereingeschaut.
BÄUERIN:
Ja, gewiß, freilich, das ist recht. Sie wird in der Folge immer verlegener und sucht das zu verbergen. Vielleicht ein Glas Milch gefällig?
LEHRERIN:
Nein, danke, Frau Fortner.
BÄUERIN:
Mein Mann ist auf dem Feld.
LEHRERIN:
Und Elisabeth?
BÄUERIN:
Elisabeth auch. Schade, daß sie nicht da ist, wo grade ihr Fräulein kommt. Sie mag Sie nämlich besonders gern.
LEHRERIN:
So - das habe ich nicht gedacht.
BÄUERIN:
Vielleicht - vielleicht haben Sie auch Lust, zu ihr aufs Feld zu gehen.
LEHRERIN:
Ich bleibe lieber ein bißchen sitzen und unterhalte mich mit Ihnen.
BÄUERIN:
Ja, ich meinte auch bloß.
LEHRERIN:
Mir ist Elisabeth auch recht lieb. Manchmal träumt sie ein bißchen.
BÄUERIN:
Vielleicht sollte ich aufs Feld gehen und sie rufen.
LEHRERIN:
Ach wo.
BÄUERIN:
Es wäre vielleicht besser.
LEHRERIN:
Was haben Sie, Frau Fortner? Lachend. Ich glaube, ich komme Ihnen ungelegen. Soll ich lieber wieder gehen?
BÄUERIN:
Ja. Ich meine, - entschuldigen Sie, Fräulein, - weil manches über uns geredet wird.
LEHRERIN:
Was redet man? Ich weiß nichts. Außerdem würde es mich nicht stören.
BÄUERIN:
Wenn es das Gerede allein wäre -
LEHRERIN:
Jetzt machen Sie mich neugierig.
BÄUERIN:
Man sagt, bei uns ginge der Teufel aus und ein.
LEHRERIN lachend: Der Teufel? Nein, Frau Fortner, das glaube ich nicht.
BÄUERIN:
Vielleicht glaubten Sie es, wenn -
LEHRERIN:
Wenn?
BÄUERIN:
Möchten Sie ihm gern begegnen? Ja, Fräulein, vielleicht ist es wirklich besser, wenn Sie gehen.
LEHRERIN:
Ja, gewiß, Frau Fortner, wenn Sie meinen.
BÄUERIN:
Still!
LEHRERIN:
Was ist?
BÄUERIN:
Ach, es ist schon zu spät, Fräulein. Hören Sie nicht? Schritte! Man hört ein Geräusch von den Steinfliesen des Flurs her.
LEHRERIN:
Schritte? Aber was für Schritte? Das ist kein Menschenschritt.
BÄUERIN:
Es ist Sabeth.
LEHRERIN:
Wer?
BÄUERIN:
Tun Sie die Augen zu, wenn Sie Angst haben! Die Tür wird langsam und knarrend geöffnet.
LEHRERIN:
Nein, ich will es sehen. Sie schreit plötzlich auf und verstummt dann.
BÄUERIN:
Bleib draußen, Sabeth, sie fürchtet sich vor dir! Die Tür wird wieder geschlossen.

LEHRERIN: Als ich aus der Ohnmacht wieder zu mir kam, sah ich das Gesicht der Bäuerin über mich gebeugt. Die Küche war leer, die schreckliche Erscheinung wieder verschwunden.

LEHRERIN: Mein Gott -
BÄUERIN:
Ich bin daran schuld, wußte ich doch, daß er kam. Er sagte es mir, kaum, daß Sie sich hingesetzt hatten.
LEHRERIN:
Wer sagte Ihnen was? Es war niemand da.
BÄUERIN:
Er war nicht da, aber er kann aus der Ferne sagen. Er hat nicht erwartet, jemand zu treffen. Aber er muß etwas Besonderes haben. Sonst kommt er erst, wenn es dunkel ist.
LEHRERIN:
Er kann es aus der Ferne sagen?
BÄUERIN:
Früher konnte er mehr. Jetzt ist er arm wie ein Bettler.
LEHRERIN:
Bin ich wach, Frau Fortner? Gleich wird der Wecker klingeln.
BÄUERIN:
Er wird nicht klingeln. Sie sind ganz wach.
LEHRERIN:
Aus der Ferne sagen? Wie kann er das?
BÄUERIN:
Weiß ich's? Aber er sagt es. Nicht mit Worten, aber man erfährt plötzlich, daß er kommt. Deshalb wollte ich, daß Sie fortgingen. Glauben Sie, daß es der Teufel ist?
LEHRERIN:
Ich weiß es nicht.
BÄUERIN:
Ich werde Ihnen alles erzählen.

 

Zweites Kapitel

DIE ERZÄHLUNG DER FRAU FORTNER


BÄUERIN:
Es ist im vorigen Winter gewesen, kurz nach Lichtmeß. Es war alles noch weiß verschneit. An einem ganz gewöhnlichen Tag saßen wir beim Mittagessen.

BÄUERIN: Salat, Josef? Tu dir auf!
BAUER:
Ich hab rechtschaffen Hunger gehabt, als ich mich hinsetzte. Aber jetzt - mir ist so, als hätte ich was vergessen.
BÄUERIN:
Vergessen?
BAUER:
Merkt ihr das nicht auch? Ich meine, ihr müßtet es auch merken.
BÄUERIN:
Ich merke nichts.
BAUER:
Es müßte im Stall rein.
MAGD:
Beim Vieh ist alles getan.
BAUER:
Die Pferde?
KNECHT:
Ich habe nichts vergessen.
BAUER:
Nein, ich muß es selber sein. Den Pflug müßte man richten.
KNECHT:
Den Pflug? Das wäre nicht eilig, meine ich.
BÄUERIN:
Wenn du was vergessen hast, tust du es heute nachmittag. Nimm vom Fleisch!
BAUER rückt den Stuhl zurück: Es hat jemand gerufen.
BÄUERIN:
Hab nichts gehört.
MAGD:
Hab nichts gehört.
KNECHT:
Es hat niemand gerufen.
BAUER:
Hast du nichts gehört, Elisabeth?
ELISABETH:
Ja, Vater, ich habe es gehört.
BÄUERIN:
Was hast du gehört?
ELISABETH:
Ich - nein, nichts, glaube ich.
BAUER:
Ich habe was gehört, was nicht zu hören war.
BÄUERIN läßt die Gabel klirrend fallen: Das ist zum Fürchten, Josef.
ELISABETH:
Es war zu hören wie eine Hand, die einen anfaßt.
BÄUERIN:
Wie eine Hand, die einen anfaßt?
BAUER:
Ja, eine Hand, die einen anfaßt.
BÄUERIN:
Heilige Mutter Gottes -
ELISABETH:
Es ist nicht zum Fürchten.
BAUER:
Ich muß gehen. Er steht auf.
ELISABETH:
Ich gehe mit dir, Vater.
BÄUERIN:
Wohin, Josef?
BAUER:
Das Pferd anschirren, glaube ich, den Pflug holen. Es hat gerufen. Er geht mit Elisabeth hinaus.
KNECHT:
Ist er krank, der Bauer?
BÄUERIN:
Iß du und sei still!
MAGD:
Es ist finster am hellen Mittag.
BÄUERIN:
Dafür ist es Winter.

BÄUERIN: Ich versuchte es vor mir selber und vorm Gesinde zu verbergen, wie ich Angst hatte. Ich brachte keinen Bissen mehr hinunter und schaute mit klopfendem Herzen zum Fenster hinaus, was geschehen würde. Wir sahen den Bauern anspannen und mit Pflug und Pferd den Hof verlassen. Elisabeth ging mit ihm.

BÄUERIN: Wohin will er mit dem Pflug? Zur Schmiede?
KNECHT:
Der Pflug ist nicht entzwei.
MAGD:
Da, er lenkt in den Weg zum Feld ein.
BÄUERIN:
Zum Feld? Will er pflügen?
KNECHT:
Die Erde ist gefroren.
BÄUERIN:
Ich will ihm nach. Sie geht hinaus.
KNECHT:
Das schöne Rauchfleisch. So viel hatten wir nie.
MAGD:
Ich denke, wir essen erst zu Ende. Wir kommen früh genug.
KNECHT:
Willst du auch hinaus?
MAGD:
Der Bauer ist närrisch geworden. Ich will dabei sein.
KNECHT:
Albern bist du.
MAGD:
Siehst du, jetzt geht die Bäuerin hinaus. Sie läßt plötzlich die Gabel fallen.
KNECHT:
Was ist?
MAGD flüsternd: Schau zum Fenster hinaus!
KNECHT:
Ich sehe nichts.
MAGD:
Auf dem Dach vom Stall. Bekreuzige dich!
KNECHT:
Ein riesiger schwarzer Vogel, ein Rabe.
MAGD:
Heilige Maria, Mutter Gottes -
KNECHT:
Der Leibhaftige im schwarzen Rock. Jetzt fliegt et davon.
MAGD:
Schau nicht hin!
KNECHT:
Ich geh. Heute noch geh ich. Ich such mir einen andern Platz.
MAGD:
Und ich. Heute noch sag ichs dem Bauern.

BÄUERIN: Inzwischen ging ich zum Hof hinaus und auf den Feldweg zu. Ich sah etwas wie einen Schatten auf dem Dachfirst überm Stall. Aber ich achtete kaum darauf, denn was war das schon gegen den Anblick der Felder, der mich mit Entsetzen erfüllte. Ringsum im Schnee saßen und gingen riesige Raben, vereinzelt und scharenweise. Aber sie beachteten mich nicht und kamen auch nicht nahe zu mir. Und auf einmal wußte ich es, daß sie mir nichts tun würden, und ich ging weiter, meinem Mann und meinem Kinde nach. Und wie ich weiterging, geschah noch etwas viel Merkwürdigeres: Es war mir, als wäre das alles immer so gewesen, als waren immer schon solche riesigen Vögel auf den Feldern gegangen und es wäre nichts Neues für mich. Nein, es kam mir nicht nur so vor, sondern es war wirklich so: Ich kannte diese Raben schon lange. Und wie mir dies einfiel und ich mich daran erinnerte, kamen sie auch näher Zu mir heran und ich sah einem ins Auge. Er schaute mich ernst an, und ich erinnerte mich, daß ich ihn kannte. Nein, nicht ihn, aber sein Auge. Er öffnete den Schnabel, doch kein Laut drang aus seiner Kehle. Es war, als bemühte er sich zu sprechen, und zugleich war es, als bemühte nicht er sich, sondern mir selber lag das Wort auf der Zunge, und ich konnte es nicht sagen. Ich war nahe an einem großen Glück, so nahe wie noch nie, aber nun auch gewiß, daß es unerreichbar war. Ich sah den Bauern und Elisabeth nicht, die hinter einer Anhöhe verschwunden waren. Erst als ich gegen den Wald hin kam, erblickte ich sie wieder. Der Bauer pflügte durch die steinhart gefrorene Erde. Hinter ihm wuchs im Schnee das schwarze Band der Furche. Auf dem Pflug saß einer der schwarzen Vögel und sah auf die Schar nieder, wie sie £n die Erde schnitt. Ringsum gingen oder standen andere und alle schienen dem Pflügen zuzuschauen. Ich versuchte, sie zu zählen, und kam auf ungefähr ein Dutzend. Aber auch zwischen den Stämmen des Waldes waren noch welche, und da alles in Bewegung war und sich gegeneinander verschob, war das Zählen schwer. Elisabeth stand mitten unter ihnen und lachte mir glücklich zu, als sie mich sah. Sie blickte zu den großen Vögeln empor und schaute ihnen aufmerksam in den Rachen, wenn einer den Schnabel gegen sie aufriß. Auch schien es sie keineswegs zu beunruhigen, wenn einer sie wie prüfend in den Zopf biß. Auch ich hatte keine Furcht um sie. Nein, wir waren alle ohne Furcht, und selbst das Pferd, sonst ein schwieriges Tier, verriet keinerlei Unruhe. Seltsam war auch, wenn inmitten dieser Seltsamkeiten noch etwas auffallen konnte, daß die großen Raben alle stumm waren, anders als die Krähen und Dohlen, denen sie doch glichen. Am Ende der ersten Zeile stockte der Pflug, und als ich durch den Schnee näher stapfte, sah ich, daß die Schar in der harten Erde gebrochen war. Der Rabe, der auf dem Pflug gesessen hatte war herab gehüpft und beugte sich zusammen mit dem Bauern über den Schaden, wobei er ihn schräg von der Seite ansah, als erwarte er eine Erklärung des Zwischenfalls. "Die Schar ist gebrochen", sagte mein Mann, und wie er mich dabei anschaute, strahlte er über das ganze Gesicht, als berichte er mir etwas besonders Schönes. Ja, diese Raben, die so unversehens erschienen waren, hatten die Macht, Glück zu verbreiten. Daß uns der Pflug zerbrach, daß uns Knecht und Magd verließen, - es gab kein Unglück, keinen Kummer für uns! Und mußten wir gleich die seltsamsten Dinge tun, - es geriet uns alles wohl. Was wurde das für eine seltsame Wirtschaft auf unserem Hof! Wir lebten sehr abgelegen, und deshalb bemerkte man es kaum, daß wir Dinge trieben, die in den Augen der Welt närrisch waren. Nicht nur in den Augen der Welt, auch in unseren eigenen. Aber wir konnten nichts dagegen tun, ein dunkler Zwang trieb uns, die Raben hatten Macht über uns und ließen uns Dinge tun, die kindisch oder lächerlich oder verrückt waren, aber dennoch, - wir waren glücklich dabei. Können Sie sich vorstellen, daß wir eines Tages das Klavier auf den Wagen luden und damit in den Wald fuhren? Elisabeth mußte spielen, was sie gerade in der Klavierstunde gelernt hatte, und wir sangen dazu.

BAUER, BÄUERIN und ELISABETH singen: Im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt, er pfleget und pflanzet all Bäume ins Land. Er ackert, er egget, er pflüget und sät und regt seine Hände gar früh und noch spät.

BÄUERIN: Wir sangen für die Bäume, das Gras und die leere Luft. Von den Gästen im schwarzen Rock war nichts zu sehen. Anders als an dem Wintertage ihres Erscheinens bekamen wir sie nur noch wie scheue Waldvögel zu Gesicht, - ein dunkles Gefieder im Geäst, ein Flügelschlag in der Dämmerung. Nur Elisabeth ging näher mit ihnen um und gewöhnte schließlich einen der Raben ans Haus. Davon wird sie Ihnen selber erzählen.

 

Drittes Kapitel

DIE ERZÄHLUNG DES KINDES ELISABETH


ELISABETH:
Jeden Tag ging ich in den Wald, weil ich die Raben wiedersehen wollte. Aber ich fand sie nicht und dachte schon, sie wären fortgeflogen. Aber dann dachte ich auch, sie versteckten sich bloß vor mir und wollten mich necken. Mir kam es nämlich immer so vor, als stünden sie hinter den dicken Bäumen und säßen in den dunklen Fichtenkronen, wo man sie nicht sehen kannte. Solange noch Schnee lag, suchte ich nach den Spuren von ihren Füßen, die hätten doch groß und deutlich sein müssen, aber ich fand nie welche. Dann ging der Schnee weg, und ich wußte gar nicht mehr, wie ich sie suchen sollte. Eines Tages war ich weit gelaufen und war müde und setzte mich auf einen um gehauenen Baumstamm. Es war alles still und leer, und die Sonne schien, und ich schaute auf einen Strauch, der schon anfing, ein bißchen grün zu werden, und dachte, nun wollte ich nicht mehr nach den Raben suchen. Da merkte ich plötzlich, daß hinter dem Strauch ein Rabe stand, und ich wunderte mich, daß ich ihn nicht gleich gesehen hatte. Ich lief schnell zu ihm hin.

ELISABETH: Guten Tag, Rabe! Ich habe euch schon so lange gesucht, wo seid ihr gewesen? Meine Eltern wundern sich auch, daß ihr nicht mehr kommt. Habe ich dich schon gesehen? Ich weiß nicht, ihr seht alle gleich aus. Pause. Ich heiße Elisabeth.
SABETH langsam und bemüht: Sa - beth.
ELISABETH:
Du kannst sprechen!
SABETH:
Sabeth.
ELISABETH:
Nein, nicht Sabeth! Elisabeth!
SABETH:
Sabeth.
ELISABETH:
Sabeth! Jetzt werde ich dich Sabeth nennen. Willst du so heißen?
SABETH:
Sabeth.
ELISABETH:
Wenn du es richtig gelernt hast, mußt du mich Elisabeth nennen. Du aber heißt Sabeth.

ELISABETH: Er hat schnell sprechen gelernt. Er spricht so wie wir, so als wenn er ein Mensch wäre. Aber eigentlich spricht er auch wieder anders, denn er ist ja viel klüger als wir alle. Oft begreife ich seine Worte nicht, besonders seitdem er traurig ist. Aber sonst ist er viel mehr ein Mensch als ein Rabe, ich wundere mich manchmal, daß er schwarz ist und Federn hat. Jetzt hilft er dem Vater wie ein Knecht, früher aber kam er kaum ins Haus. Damals wußte er Spiele, die er inzwischen verlernt hat. Einmal durfte ich mit ihm fliegen. Wenn ich nur wüßte, wohin wir damals geflogen sind! Ich erinnere mich noch gut. Es war im Mai oder Juni. ich war eines Tages über Mittag hinaus gelaufen in den Wald, um Sabeth zu suchen.

ELISABETH kunstlos zu einer selbsterfundenen Melodie singend: Die Raben im Wald, die Raben im Feld, die Raben im Haus - Sie ruft: Sabeth! Sabeth! Echo.
SABETH entfernt, sich nähernd: Elisabeth! Elisabeth!
ELISABETH:
Da bist du!
SABETH:
Wir wollen fliegen, Elisabeth.
ELISABETH:
Fliegen? Du kannst fliegen, aber ich nicht.
SABETH:
Faß meine Füße!
ELISABETH:
Ja.
SABETH:
Halte dich fest! Und gib acht: Bevor wir fliegen, rufe ich deinen Namen.
ELISABETH:
Warum?
SABETH:
Damit du nachher lachen kannst, Elisabeth. Ich möchte immer, daß du lachst. Er ruft: Elisabeth! Flügelrauschen.
ELISABETH:
Oh, jetzt fliegst du!
SABETH:
Wir beide fliegen. Hast du Angst?
ELISABETH:
Nein. Aber wo sind wir, Sabeth? Gleich waren die Felder und die Bäume weg. Wo sind wir, Sabeth?
SABETH:
Frag nicht! Was siehst du?
ELISABETH:
Nichts.
SABETH:
Gar nichts?
ELISABETH:
Ringsum ist es blau und dunkel. So blau und dunkel, daß es mich blendet.
SABETH:
So blau und dunkel ist die Ewigkeit, Elisabeth.

ELISABETH: So sprach er, und ich weiß nicht, was er damit meinte. Es war aber schön, durch die blendende Finsternis zu fliegen. Wir schwebten ganz still darin, und ich meinte, es vergingen Stunden.

SABETH: Wir wollen wieder zurück, Elisabeth.
ELISABETH:
Ja, Sabeth, wie du willst. Flügelrauschen.
ELISABETH:
Da sind die Bäume, die Felder.
SABETH:
Und plumps! die Erde. Nun horch! Man hört im Echo die Rabenstimme.
SABETH:
- sabeth!
ELISABETH:
Was war das?
SABETH:
Das Echo. Ich sagte dir doch, ich wollte deinen Namen rufen!
ELISABETH lachend: Du lügst ja, Sabeth! Das ist doch so lange her!
SABETH:
Aber gefällt es dir nicht?
ELISABETH:
Sehr, lieber Rabe!


Weiter zum 4. Kapitel

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